Lesebühnentexte sind ja so eine Sache. Meistens haben sie einen bestimmten Tonfall, bestimmte Inhalte, bestimmt Figuren. Kann ich das, will ich das? Darum geht es in dem ersten Text, den ich zwischen den Texten von Alissa Wyrdguth und Gary Flanell gelesen habe:
Ich hab mir vorgenommen, zum
Vorlesen auch mal so einen Lesebühnentext zu schreiben, die meistens anfangen
mit „Gestern auf dem Weg zum Späti ist mir das Leergut runtergefallen“ oder
„wenn man im Winter die Wäsche aufhängt, frieren einem ja meistens die Hände
ein“. Manchmal geht der Einstieg auch so:
„Als ich noch mit Kohlen geheizt
habe, habe ich mir manchmal beim Schleppen den Rücken verzerrt. Auf dem Weg zum
Späti sah ich dann aus wie Quasimodo / als hätte ich mich angekackt / wie mein
alter Mathelehrer.“ Die Wahl der Vergleiche ist je nach Lesebühne
unterschiedlich.
„Mit der Zentralheizung passiert
das nicht mehr, und jetzt muss ich mir immer selbst was ausdenken, wenn ich
eine Krankschreibung will. Obwohl, so auf Hartz IV brauch ich eigentlich gar
keine.“ Dann lachen immer alle, meistens an der richtigen Stelle, und die
Autorin sitzt da mit ihrem Bier und lächelt ihr erfolgsverwöhntes Lächeln.
Bei mir lacht nie jemand, und
deshalb weiß ich nicht, wie ein erfolgsverwöhntes Lächeln geht.
Erfolgsversprechend scheinen Texte,
die irgendwie selbstironisch sind, Texte über Kotze und Texte, die
verdeutlichen, dass die Autorin eine echte Berlinerin ist, eine, die im
Vergleich zu den anderen, die so ähnliche Texte schreiben, schon viel länger
hier wohnt. Also so einen Text wollte ich auch schreiben.
Das mit dem Berlinbezug fand ich
dann aber gar nicht mehr so spannend. Zum Glück hat sich das mit der
Semmel-Schrippen-Wecken-Brötchen-Kontroverse im Zug der Eurokrise irgendwann
erledigt. In English As a Second Language heißen die alle einfach bread. Statt an
Brötchennamen lassen jetzt alle ihren Hass an Leute aus Spanien aus, weil sie
auf einmal alle früher so gern Türkisch gehört haben. Was Brötchen auf Türkisch
heißt, weiß aber trotzdem kaum ein Mensch. Außer den Türkinnen.
Ich hab es dann mit der Kotze
versucht, weil das Berlinthema zu versöhnlich war. Kotze schien sich gut zu
eignen zur Umsetzung der Ratschläge, die jedem Schreibratgeber zu entnehmen
sind: Sprich alle Sinne an. Sinnliche Beschreibungen fesseln. Lass deine
Leserinnen riechen, schmecken, fühlen, was in deinem Text passiert.
Als ich gestern aus der Kneipe kam,
hatte ich so viel getrunken, dass ich so richtig reihern musste. Ich spürte,
wie mein Magen sich zusammenzog und wieder ausdehnte, ein säuerlicher Geschmack
kroch langsam meine Speiseröhre hinauf. Ich schmeckte die Reste von dem Wodka,
den ich ausgiebig zu mir genommen hatte, den polnischen mit diesem Stängel
drin. Wenn ich nachschmeckte, konnte ich tatsächlich einen feinen Hauch
Basilikum oder Dings wahrnehmen. Am Rande dieser Geschmacksnote waren die
ersten Vorzeichen des Falafel- Sandwiches zu erahnen, das ich am Nachmittag zu
mir genommen hatte.
Ich wusste aus Erfahrung, wie sich
die halb verdauten Kichererbsenbröckchen anfühlen würden, wenn sie sich
hydraulisch bewegt die Speiseröhre hinauf Richtung Mundhöhle bewegen würden.
Sie würden sich an der Oberfläche der Röhre reiben, mir den Geschmack des gar
nicht so schlechten Sandwiches samt Tahin wiederbringen und dann
explosionsartig über den Mund in die Außenwelt katapultiert werden.
Gib mehr Geruch rein, flüstert der
Autor des Standardratgebers für Lesebühnentexte in meinem Hinterkopf. Wie
riecht die Kotze genau? Lass deine Leserin die Dünste riechen, die sich
säuerlich in die Nasenschleimhaut schleichen. Sei präzise und differenziert:
Riecht es nach Essig, nach Verdauung und Magensaft, oder eher noch einigermaßen
appetitlich nach Knoblauch und gebratenen Erbsen? Lass uns teilhaben an deiner
Erfahrung.
Und die Konsistenz, da kannst du
ruhig noch etwas genauer sein. Was für Bröckchen? Große? Kleine? Und die
Farben, doch, Farben brauchst du. Da kannst du wirklich in die Vollen gehen,
wir sind ja sowieso Augentiere. (Meistens sind diese Ratgeber etwas esoterisch.
Innerlichkeit, die Verbindung zur Seele, der eigenen oder der Weltseele,
meditatives Schreiben, Schreiben zu Düften.)
Das mit der Kotze funktioniert für
mich auch nicht so richtig, denke ich spätestens an diesem Punkt. Duft als Erinnerungsträger.
Lass den Leser den Kuchen riechen, den das Liebespaar in deinem Café verspeist.
Lass ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen, lass ihn den Kuchen schmecken, den
seine Oma gebacken hat.
Ich finde das langweilig. Wie Kotze
riecht und schmeckt, ist den meisten Leuten bekannt, und die Unterschiede
zwischen verschiedenen Kotzesorten sind nicht relevant genug, um ihrer
Beschreibung einen Text zu widmen. Außerdem sind es Erinnerungen an
kotzegetränkte Situationen eher selten wert, aus der Versenkung geholt zu
werden. Auch nicht, wenn du auf die auditive Ebene gehst, fällt mir in Richtung
des Ratgeberautors ein. Das Plätschern, Röhren und Würgen macht es kaum besser.
Vielleicht muss ich da anders
rangehen, weniger über den Sprachduktus, weniger über beliebte Motive.
Stattdessen gehe ich über Ereignisse, über die Handlung. Handlung ist nie
falsch.
Die meisten Lesebühnenmenschen
entscheiden sich für Zufallsbegegnungen, Gespräche über irgendwas, ein bisschen
Hin und Her zwischen ein, zwei schrägen Typen.
Dass mein Mitbewohner die
Wünschelrute unserer Zwischenmieterin weggeworfen hat, verstört mich noch
immer. Wer weiß, wer die in die Hände bekommt. Wer weiß, ob alle damit so
verantwortungsvoll umgehen können wie er. Ich hätte ihren Weg nachverfolgen
sollen, hätte beobachten müssen, wem sie den Weg zur Klospülung gebahnt hat. Einen
ganzen Roman hätte ich daraus entwickeln können, in dem zum Beispiel ein
BSR-Mitarbeiter seine spirituelle Ader entdeckt, seine orange Arbeitskleidung
endlich schätzen lernt und in der Mittagspause die Kollegen über die heilende
Wirkung von Halbedelsteinen und silberjodiertem Wasser aufklärt.
Ein solcher Roman könnte beginnen
mit dem Satz: „Als Hermann um 4 Uhr morgens seinen orangen Zwölftonner bestieg,
hatte er noch nicht die geringste Ahnung davon, dass der heutige Tag sein
ganzes Leben verändern würde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nie von
Wünschelruten gehört, und wenn man ihm davon erzählt hätte, er hätte es nicht
geglaubt.“
Von Konjunktiven wird in
Schreibratgebern aber abgeraten, das ist nicht die einzige Parallele zu
Bewerbungsratgebern, und so beschreibe ich im Indikativ im nächsten Absatz die
Geräusche der morgendlich stillen Straße, das erste erwartungsvolle Gezwitscher
der Vögel, natürlich werde ich auf irgendeinem Großstadtornithologenfachblog
recherchieren, welche das im Frühjahr um vier Uhr morgens sind, genau wie ich
recherchieren werde, wie viel Tonnen so ein Müllwagen wirklich wiegt.
Authentizität wird in Schreibratgebern groß geschrieben.
Ich erwähne auch den Duft der
Schrippen-Brötchen, die ich vielleicht einfach bread nenne. Dieses Hinauszögern
der Handlung steigert die Spannung und die Leserinnen warten ungeduldig darauf,
dass endlich, endlich irgendwas passiert.
Aber so ein Roman wäre zu lang für
einen Lesebühnenabend.
Texte von Alissa Wyrdguth und Gary Flanell gibt es hier: Renfield Fanzine
Die coole Band, die wir mit unseren Texten unterbrechen durften, spielt auch hier: https://soundcloud.com/drunk-at-your-wedding
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